Der Tisch für die Bereitung der Reisbällchen wird nun schnell zusammen geklappt und durch einen Mahjong-Tisch ersetzt. Die Steine werden gemischt, verteilt, die vier Spieler (3 Männer und 1 Frau) spielen rasant, routiniert und mit echtem Pokerface. Hin und wieder sehe ich einen Geldschein über den Tisch wandern.

mahjong-tisch

Es ist später Vormittag und immer mehr Gäste kommen an. Man kommt mit Auto, fährt meist erst einmal  bis zur Absperrung heran, lässt Frauen und Kinder aussteigen und sucht dann einen Parkplatz. Erstens geht man in Taiwan nicht gerne freiwillig zu Fuß und zweitens wird auf diese Weise das Auto vorgeführt. Denn wer kann, fährt ein großes Auto. Das ist wichtiger als Haus und Wohnung, wichtiger als das Styling – reiche Taiwaner sind nicht unbedingt an Brioni-Anzug und Rolex zu erkennen, in jedem Fall aber an Größe und Marke des Autos.

Pünktlich um 12 wird das Mittagessen serviert. Die Platten mit rohem und gekochtem Fisch, kalter Ente, einem Tofu und einem Rindfleisch-Gericht, verschiedenen Gemüsen und zum Abschluss die beiden Suppen, das wird mir am Abend beim richtigen Hochzeitsbankett klar, sind im Prinzip nur ein Imbiss.

Braut und Bräutigam sind noch nicht wieder aufgetaucht.

Nach dem Essen begleite ich eine Cousine von Shumei mit Mann – und Auto – um die Großmutter abzuholen. Shumeis Großmutter, d.h. die Braut ist ihr Urenkel. Sie wohnt etwas außerhalb fast direkt an der Mündung eines der vielen Nebenströme des Lanyang ins Meer. Einstöckige Häuser mit großen unvergitterten Höfen, hier und da ein Bootswrack und verottete Netze, früher lebte das Dorf offensichtlich vom Fischfang, heute wirkt die Straße ein wenig wie das Ende der Welt. Tatsächlich führt sie direkt zum Ende der Insel und verläuft sich im antrazitfarbenen Vulkansand des Strands.

Die Großmutter ist 91 Jahre alt, fast taub, sitzt auf einem Lehnstuhl in der ebenerdigen Küche mit einfachem Betonboden und strahlt vor Freude über den Besuch. Mit uns kommen noch andere Familienmitglieder. Sie wird von allen umarmt, geherzt, geküsst, Enkel und Urenkel halten ihre Hand, sprechen ihr ins Ohr – so viel Berührung und Umarmung habe ich bei den körperlich sehr distanzierten Taiwanern noch nicht erlebt. Die Begrüßung per Handschlag ist unüblich, Umarmen und Küsschen noch viel mehr. Auch die nahesten Verwandten auf der Hochzeit begrüßen sich mit Kopfnicken und zurückhaltendem Winken. Doch die alte Frau, die selbst die Hand kaum mehr heben kann, strahlt eine Wärme aus, die einen geradezu anzieht. Auch ich setze mich bald neben sie, nehme ihre Hand in die meine und begrüße sie auf Deutsch, sie bewegt den Kopf in meine Richtung, lächelt.

Wir fahren zurück zur Hochzeitsgesellschaft. Dort wird die Ankunft von Braut und Bräutigam erwartet, Feuerwerkskörper werden vorbereitet, in einem Zimmer der Wohnung des Brautpaars schminken sich die Frauen gegenseitig, zupfen und schneiden Augenbrauen, bis alle aufspringen und auf den Balkon laufen, weil der weiße Mercedes begleitet vom lauten Knallen der Feuerwerkskörper die kleine Straße einfährt. Der Bräutigam steigt aus, öffnet der Braut, die hinten sitzt, die Tür und reicht ihr ein Tablett mit zwei Äpfeln. Ein Ritual zur Unterstützung der Fruchtbarkeit. Auch rückwirkend erfolgreich – als die Braut aussteigt, sehe ich, dass sie mindestens im sechsten oder siebten Monat schwanger ist.

einfahrt des brautwagens foto

Nun ist es richtg voll im Tunnelzelt, die großen runden Blechtische sind aufgebaut und mit einfachen kleinen Melaminschalen und Holzstäbchen für bestimmt 150 Menschen gedeckt. Die Outdoor-Küche ist durch einen roten Vorhang von diesem Speisesaal abgetrennt. Ich werfe einen Blick dahinter und kann es kaum fassen – was hier an kalten und warmen Platten mit Hummer, Krebsen, Riesengarnelen, Muscheln vorbereitet ist, kann ich mit dem einfachen Gedeck kaum in Einklang bringen. Hinzu kommen Fleischgerichte, Gemüse, Suppen, Fisch.

Schließlich begibt man sich zu Tisch des Hochzeitsbanketts unterm Zelt, steht wieder auf und klatscht, als das Brautpaar erscheint und seinen Tisch einnimmt. Die Braut, vorhin noch in einem weißen Brautkleid, trägt jetzt ein ebenso aufwendiges gelbes Kleid. Es gibt ein kleines Feuerwerk mit Raketen und der erste Gang wird serviert.

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Hummer. Dann überdimensionale Krebse, stäbchengerecht halbiert, dann gefüllte Muscheln. Überbackene Riesengarnelen. Andere Riesengarnelen, serviert mit Früchten. Roher Fisch mit Wasabi und Sojasoße. Kalte Ente mit Erdbeeren. Ich esse alles und alles mit Stäbchen. Das wird anerkennend zur Kenntnis genommen, auch wenn ich die Stäbchen in der linken Hand halte, was sehr ungewöhnlich ist. Es folgt ein Gericht aus Hähnchen und Schweineinnereien, warm, nicht ganz mein Geschmack, aber ich halte durch. Getrunken wird kalter Tee, Saft, hier und da ein Bier. Zwar steht auf jedem Tisch eine Flasche Whiskey, aber auf vielen Tischen bleibt diese ungeöffnet stehen. Das Brautpaar dreht nun eine Runde, stößt mit allen, ob Tee, Saft oder Whiskey an. Es folgt Algengemüse mit für mich nicht näher bestimmbaren Innereien. Gekochter Fisch. Paprikagemüse mit Schweinefleisch. Gemüse mit, tja, wenn ich das so genau sagen könnte – Herkunft wahrscheinlich aus dem Pazifik. Zwei Suppen. Ein Dutzend Gerichte, Schlag auf Schlag serviert, schnell gegessen, es gibt keine Kunstpausen zwischen den Gängen. Das Essen dauert gerade mal eine gute Stunde und kaum ist die Suppe aufgetragen, steht das Brautpaar auf und stellt sich unter das über und über mit Luftballonen und überbordendem Kitsch geschmückte Portal des Tunnelzelts. Gäste verbschieden, die jetzt schnell nach Hause streben. Die Braut ist jetzt in Rot. Das Fotobuch auf dem Hochzeitstisch zeigt sie außerdem noch in Blau und in Rosa. Der Bräutigam trägt seit heute morgen denselben Anzug, hat die Glückwunschrunde mit Whiskey gedreht und sieht inzwischen ein wenig derangiert aus. Alle Gäste lassen sich noch einmal mit dem Paar ablichten, so auch Shumei und ich. Am Ende gibt es noch einmal Feuerwerkskörper, dann räumt der Cateringservice in rasender Geschwindigkeit das Geschirr ab und klappt die Tische zusammen. Ein letzter Tisch bleibt stehen, an dem sich die Freunde des Bräutigams, die heute morgen schon zusammen Baseball geschaut haben, der übrig gebliebenen Whiskeyflaschen annehmen und rauchen, was das Zeug hält. Es ist gerade 9 Uhr vorbei, die engeren Verwandten sind geblieben, kehren Straße und Hof, bauen die Beleuchtung ab. Shumei, ihre Schwägerin und zwei Nichten zählen penibel das Geld, das der Familie in kleinen roten Tüten, die bei Ankunft der Gäste verteilt wurden, geschenkt wurde. Ich sehe viele viele 1000er-Scheine (=25 Euro). Ich wünsche der Familie, dass es wirklich sehr viele sind. Und dem Brautpaar alles Gute.

Zu Teil 1: Hands Billowing like the Clouds

 

 

Grasp the Sparrow’s Tail – das Hochzeitsbankett Teil 2
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