Leipziger Buchmesse 2013
Mit müden Metaphern lobt die Presse das große Interesse an der Leipziger Buchmesse 2013 und am Begleitprogramm „Leipzig liest“ – allen voran die FAZ mit ihrem Rückblick auf das Liebesspiel mit Zuschauern, das in Leipzig stattgefunden habe. Wieder sind alle zufrieden, wieder haben alle gejammert, wieder haben sich alle über das große Familientreffen gefreut, Neuigkeiten und Gerüchte verbreitet und ausgetauscht. Die Verlage haben Bücher mitgebracht und ausgestellt, die meisten heimlich einige davon verkauft und am Ende alle übrigen wieder in Kisten gepackt. So war es jedes Jahr, so ist es immer noch.
Und einige Stände haben uns die angebliche Zukunft des Buchs gezeigt. Sie stellten recht schmucklos die bemüht an die technischen Entwicklungen jenseits der Branche angepassten Modelle von Lesegeräten aus. Seit mehr oder weniger 10 Jahren sind diese Lesegeräte auf dem Markt – und die Neuerungen heißen Cloud, Bildschirm-Auflösung, Hintergrundbeleuchtung, Zahl der verfügbaren Titel. Spannend war das nicht.
Es war mein 18. Messejahr und was bleibt, ist ein schales Gefühl.
Lebenselixier visionäre Selbstüberschätzung
Die Buchbranche war nie der Nabel der Welt. Doch wir fühlten uns wie der Nabel der Welt.
Wir waren die Brutstätte von Ideen, die zuerst in Form von Büchern auf die Ladentische kamen, von dort in den Köpfen landeten und in die Welt getragen wurden – dachten wir. Je kleiner die Auflage, desto explosiver die Wirkung. Dieser Spagat einer Branche zwischen wirtschaftlich begrenzter Bedeutung und visionärer Selbstüberschätzung machte immer schon den Charme der Buchwelt aus. Bücher verändern die Welt, das war das unumstößliche Credo.
Die letzten bemerkenswerten gesellschaftlichen Umwälzungen der Welt wurden jedoch nicht durch Bücher, noch nicht einmal durch deren viel beschworene Essenz, den Content, ermöglicht und ausgelöst – der arabische Frühling beispielsweise war eine Facebook- und Twitter-Revolution, die keiner charismatischen Persönlichkeiten oder richtungsweisender Ideen und Bücher bedurfte. Die Social Media als Revolutionsführer. Der User als Autor. Die Idee als Tweet.
Augmented Reality statt Visionen
Im 21. Jahrhundert haben eindeutig nicht Bücher, sondern technische Geräte die Welt und die Idee, die wir uns von der Welt machen, verändert. Was zaghaft mit dem iPod 2001 begann, wird wahrscheinlich noch in diesem Jahr z.B. in die Google Glasses münden, mit denen virtuelle und reale Welt in der Wahrnehmung einer Augmented Reality kaum mehr unterscheidbar sein werden.
Mehr noch als die wieder einmal rückläufigen Umsätze der Buchbranche und die wachsende Bedeutung des E-Books ist es diese Erkenntnis, die der Branche das Selbstbewusstsein raubt. In der Krise befindet sich die Verlagswelt, seit ich sie kenne. Mochten die Umsätze wanken, unumstößlich war der Glaube. Wenn nicht an die große Bedeutung, so aber doch an den Sinn des Produkts, das noch die äußersten Pole der Branche einte – das Buch.
Komm – wir spielen nochmal Messe!
Der Glaube ist futsch und wurde bestenfalls durch naiven Trotz ersetzt – Nota bene! Bücher wird es immer geben! Und die Erde ist eine Scheibe! Schließlich gibt es ja nicht nur Supermärkte, sondern auch Delikatessen-Läden!
Inzwischen haben sich viele Verlage jedoch mit Ächzen und Knarren mit dem E-Book abgefunden. Es gibt kaum mehr einen Verlag, der nicht einige Titel auch in elektronischer Form anbietet. Nur – das E-Book ist auch nur ein Buch. Und E-Reader sind praktisch, platzsparend und schön leicht. Aber sie geben der Branche den Glauben an das eigene Tun nicht zurück.
Leipzig war die Messe einer Branche, die sich in den letzten 10 Jahren vom eingebildeten Zentrum des Weltgeschehens zum gefühlten Arsch der Welt bewegt hat – und die sich dieser Erkenntnis nicht mehr verschließt. Leipzig war eben nicht Liebesspiel mit Zuschauern, sondern Komm, wir spielen nochmal Messe! – allein, uns fehlt der Glaube.
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