Nebel auf einem Tempelberg
Taipeier Grüngrau

Berlin kann sehr grau sein. Wenn Eskimo-Sprachen besonders viele Begriffe haben um Schnee differenziert zu beschreiben, so wundert es, dass weder das Deutsche noch das Berliner Lokalidiom eine große Auswahl an Begriffen für die Farbe Grau bieten. Tiefdunkles November-Grau, ewig-fahles Januar-Grau, weißgraues Juli-Licht, Berlin hat viele Spielarten zu bieten.

Heute habe ich gelernt, dass Taipei noch viel grauer sein kann als Berlin und Berlin wahrscheinlich den Rang abläuft. Dichtgrau. Tonnengrau, nassgrau und – das war die Erkenntnis des Tages – üppiggrau.

Taipei ist keine schöne Stadt. Taipei ist ein Koloss, die meisten Stadtteile sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden und betrachtet man die Stadt vom Auto oder der U-Bahn aus, sieht man vor allem unendliche Weiten hässlicher einst weißer, jetzt graugrauer Klinkerbauten. Mein wunderbar weiser  Berliner taiwanischer Freund hat mich vorgewarnt, aber ich habe es mir nicht recht vorstellen können:

Die 60er Plattenbauten in Taipei sind noch hässlicher als die in Marzahn, aber die Menschen leben ganz anders – wegen des guten Essens, wegen der schönen Berge und wegen ihrer uralten Kultur (Tempel, Taiji und Qi-Gong).

Es ist an Tagen wie heute also grau, aber nicht bleischwer – zum Beispiel wegen des guten Essens. Dieses ist allgegenwärtig, gibt es von einfach bis raffiniert und hervorragend, von günstig bis richtig teuer. Man könnte es oft Fast Food nennen, weil es so schnell zubereitet wird, aber vor allem wird es immer frisch gekocht, es gibt viel Gemüse (neben den ewigen Nudeln und den erstaunlichsten Spielarten von Fleisch und Fisch) und meist wird recht salzarm zubereitet und vor allem nur kurz gekocht. Alles schmeckt so etwas leichter und führt zu einem angenehmen undeutschen und völlefreien Gefühl von satt.

Es ist grau, aber auch wegen der nahen Berge ganz anders grau als in Berlin, Bochum oder Bielefeld. Grüngrau ist in Berlin eine recht unbekannte Farbe, die hier aber allgegenwärtig ist. Wenn in Taipei der Himmel verschwindet und eins wird mit dem Grau der Häuser, schmatzt das Grün der Berge, der Parks und der Tempelhügel in der Stadt erst so richtig ins Auge.

Die Stadt ist grau, die Stimmung nicht unbedingt, was auch an der Kultur liegt, z.B. der Bewegungskultur. Ich war noch nie in einer Stadt, in der so wenig gesessen wird – auch zum Essen nur kurz. Nicht, dass alle joggen oder skaten oder Rad fahren. Aber sogar wer betet, bewegt sich dabei oft und geht rund um den Altar oder den Schrein, die Hände wie im Taiji in permanenter Bewegung. Die Parks sind voller Menschen, die sich dehnen, eine Bewegungskunst welchen Stils auch immer praktizieren (Standardtanz, z.B. Foxtrott zu Chino-Pop, ist außerordentlich angesagt!). Und neben den grauen Häuserblocks sind die Tempel allgegenwärtig, bunte Pagodenbauten, viel Rot, viel Gold, viel Gelb und der Geruch nach Räucherstäbchen, deren Rauch die Gebete in den Himmel trägt.

Aber – es war schon verdammt grau heute.

Foto: Viel Grau
Blick aus der Seilbahn auf der Fahrt zum ZhiNan-Tempel

 

 

Single Whip – Tao im Nebel
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4 thoughts on “Single Whip – Tao im Nebel

  • 8. März 2012 um 11:17
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    Danke für diese Impressionen! „Poetisch“ traue ich mich ja nicht zu sagen, weil es da auch diesen leicht lakonischen Tonfall gibt, der immer mitschwingt ;-)… und es würde ja auch nicht ganz treffen. So ist es einfach ein feiner Blogtext – ok? 🙂

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  • 8. März 2012 um 15:27
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    Ach, von mir aus darf die Poesie auch lakonisch sein. Danke!

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  • 13. März 2012 um 22:22
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    ..wenn es Dich tröstet: Berlin ist gerade in frühlingsgrau gehaucht

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  • 14. März 2012 um 2:09
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    Auch schön. Hier regnet es seit ungefähr 6 Tagen fast ununterbrochen, Abwechslung bringen hin und wieder unglaubliche Güsse, die sich zwischen Niesel und Bindfadenregen schieben. Gerade aber immerhin sein ungefähr einer Stunde regenfreies transparentgrau.

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